Gott hat noch Pläne mit mir… (3)

Siebenbürgens Schicksal in Eginald Schlattners Romanen

Darf man mit 65 noch beginnen Romane zu schreiben? Ja, wenn man in diesem Alter daraufkommt, endlich Zeit für literarische Tätigkeit zu haben. Drei Ungarn(deutsche) haben im Jänner 2023 einen Besuch beim ältesten Pfarrer im Dienst in Siebenbürgen erstattet. Eginald Schlattner hat diese Literaturliebhaber nach dem evangelischen Gottesdienst im Pfarrhaus empfangen. Wir sitzen also beim ihm, im Dorf namens Rothberg (Dt) – Szászveresmart (H) – Rosia (Ro) nahe Hermannstadt / Nagyszeben / Sibiu.

Kaffee nach dem Gottesdienst — eine Gelegenheit für Seelsorge

Wir sitzen im Pfarramt. Man darf fragen, sowohl er als auch wir. Wie ist Ihre Geschichte, Herr Pfarrer? — fragt jemand. Der Bischof sagte mir, ich schicke Sie nach Rothberg, aber viel Freude werden Sie da nicht finden, nämlich in die Kirche kommt niemand! Etwa 800 Seelen, und noch mehr Zigeuner. Na, sagte ich, ich bin mit 45 Jahren Pfarrer geworden, dann bekam ich diese Gemeinde. Wie wird mich Gott erproben?

Ich habe 50.000 D-Mark im Schrank — so mein Bischof. Das ist uns aus der BRD für unsere Baudenkmäler gespendet. Sie sollten also davon Ihre Kirche renovieren. Worauf ich: Wenn ich sehe, dass die Leute die Kirche brauchen, dann renoviere ich die Kirche, aber vorher nicht. Und dann ist es mir gelungen! Nämlich mit Hilfe des Heiligen Geistes rief ich zuerst die Kinder. Es kamen die Ferien, sie haben die Kirche gefüllt, samt Älteren. 80 bis 100 Leute saßen jeden Sonntag da, im Kommunismus. Und so begann ich, die Kirche zu renovieren. Dann kam 1990: Das war das Jahr des Exodus, als unsere Leute das Dorf verlassen haben und ich quasi allein blieb.

Nach dem Fall des eisernen Vorhangs, in einem Sommer haben sich unsere Sachsen aus der Geschichte verabschiedet. Im Frühjahr waren im Gottesdienst noch 90 Leute und zu Weihnachten war ich allein.

Ich bin dageblieben!

14 Jahre lang habe ich ohne Gemeinde gepredigt. Jeden Sonntag kam ich zwar in die Kirche, aber ich war allein. So hielt ich die Gottesdienste. Dann schickte mir Gott eine Gemeinde aus allen Richtungen der Welt. Rumänen, Rücksiedler, dagebliebene Sachsen und natürlich Interessente aus weitliegenden Städten wie gerade Sie.

Diese Kirche ist 800 Jahre alt. Davon wirkte sie 400 Jahre lang als katholische, dann 400 Jahre lang als evangelische Kirche. Ich bin der 90. Pfarrer der Gemeinde. Und ganz sicher der letzte.

Der Schriftsteller

Eginald Schlattner gab nicht auf. Er begann Romane zu schreiben. Zuerst erschien 1998 „Der geköpfte Hahn“. Das ist mehr als eine Familiengeschichte. In diesem Roman wird viel erzählt — mit den Augen eines 11-jährigen Kindes, das in vieler Hinsicht der Autor selbst ist. Siebenbürgen, Nazismus, multiethnische Gesellschaft, Krieg… und dadurch können wir verfolgen, wie das Leben der Sachsen letztendlich besiegelt wurde.

Der Pfarrer sitzt da und erzählt

uns in seinem Wohnzimmer: Ich habe das Manuskript meines letzten Romans beendet und dem Verlag geschickt. Brunnentore, der letzte Roman. Abgeschlossen ist etwas, was man hochgestochen Lebenswerk nennen könnte. Damit verlasse ich als Romanschreiber kurz vor dem Neunzigsten das weite Feld der Epik mit insgesamt sieben Romanen.

Ich habe niedergeschrieben, wahr und wahrhaftig, was die Biographie persönlich und emblematisch anbot und habe es literarisch als Zeitbild entfaltet. Niedergeschrieben allein im Hinblick darauf, was Frau Sigrid Löffler, die große Dame der Literatur, 2002 beim Poetenfest in Erlangen statuiert hat (im Park vor vierhundert Leuten in Pickniklaune, als die Dame Rote Handschuhe vorstellte):

„Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen ist augenscheinlich zu Ende. Aber dieses Ende ist in den Romanen von Eginald Schlattner exemplarisch aufgehoben, im Hegelischen Sinne.“

Dann erschienen zwei kleinere Romane: 

Drachenköpfe und Schattenspiele toter Mädchen (190, 399 Seiten). „Schattenspiele“ hat mich besonders angerührt. Es geht um dreizehn „Gedenkblätter“ mir naher Geschöpfe aus meiner Biographie, Mädchen, Frauen, die nicht mehr sind, die unbegreiflicherweise vor mir das Zeitliche gesegnet haben. Was ich mit ratloser Trauer bedauere.

Es ist zu verstehen, dass und wie mich jedes Blatt der „Verblichenen“ mitnimmt, hernimmt.
Aber, was keineswegs zu erwarten war, ist, dass Außenstehende, einfach Lesebeflissene, emotional ebenso wie ich —  ja oft noch mehr — von diesen Schicksalen berührt sind!
Es kommen erste Rückmeldungen, Stellungnahmen, nahezu bestürzend.

Manchmal bekomme ich Briefe

oder Telefonanrufe. Eine Ärztin schrieb: „Ihr Buch, Schattenspiele, ist mehr als schön. Und es ist kaum auszuhalten. Eben weil so gelungen, schmerzt es… Nach dem ersten Mädchennamen, Elinor Maurer habe ich nicht weiterlesen können … und ich habe das Buch zugeklappt. Einmal Ausatmen bitte. Ich merke, es nimmt mir den Atem. Nach Weihnachten weiter…“

Buchwidmung für die Besucher aus Ungarn

Die Bücher WasserzeichenDrachenköpfe, Schattenspiele toter Mädchen und Gott weiß mich hier sind erschienen im erlesenen Pop-Verlag Ludwigsburg. Ein Literat schrieb mir: „Es lohnt sich, die Bücher zu erwerben. Und noch mehr: Die Bücher verdienen es, gelesen zu werden!“

Jetzt schreibe ich keinen Roman mehr. Ich habe das Werk beendet.

Wir, Lajos Káposzta, Balázs Kocsis und Péter Wesz, bedanken uns bei Herrn Schlattner, dass er uns so herzlich aufgenommen hat. Wir lesen seine Werke seitdem mit einer großen Aufmerksamkeit und denken gerne an unsere Siebenbürgenreise zurück!  

Lajos Káposzta

Eginald Norbert F. Schlattner
Gefängnispfarrer       Pfarrhof Rothberg/Hermannstadt, ROMANIA 557210 Rosia/Sibiu, Parohia evang.
Tel. 0040 269 213015, Handy: 0751 561 948

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