In diesem Jahr haben sich insgesamt 454 Schüler aus Nationalitätenschulen in Ungarn für ein Abitur angemeldet und mit ihren Schulabschlussprüfungen am 4. Mai 2020 begonnen – gab der Staatssekretär für Kirchen, Minderheiten und Zivilangelegenheiten Ungarns, Miklós Soltėsz, bekannt. Ein deutsches Abitur können die Schüler ungarndeutscher Bildungseinrichtungen in drei, sich in der Trägerschaft der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen befindenden Gymnasien, dem Deutschen Nationalitätengymnasium Budapest, dem Friedrich-Schiller-Gymnasium Werischwar und dem Valeria-Koch-Bildungszentrum in Fünfkirchen ablegen. Die Direktorinnen berichten über ungewöhnliche, aber nötige Maßnahmen, um ihre Schüler und Kollegen zu schützen.
- Wie haben Sie sich auf das Abitur vorbereiten können?
Ildikó Tápai, Direktorin des Deutschen Nationalitätengymnasiums (DNG): Dieses Schuljahr ist zwar außergewöhnlich, was den Unterricht und die Abiturprüfungen betrifft, trotzdem gibt es auch eine gewisse Sicherheit, besonders im Falle der Abiturprüfungen. Man hat nach wie vor Rechtsvorschriften, Regelungen, Handreichungen, die als grundlegende Richtlinien gedient haben. Über die Veränderungen bekommen die Schulen vom Ungarischen Bildungsamt ständig Informationen, die man vor Ort in die Praxis umsetzen kann.
Erika Szabó-Bogár, Direktorin des Friedrich-Schiller-Gymnasiums: Seit der Umstellung auf den digitalen Unterricht setzten wir die Vorbereitung auf das Abitur fort, und warteten auf die Entscheidung über den Zeitpunkt und Art der Abiturprüfung. Nach der Bekanntgebung der Regierung hatten wir 2 Wochen bis zum Beginn der schriftlichen Prüfungen. Die Schulleitung entschied sich dafür, dass die Abiturienten in diesen 2 Wochen sich auf das schriftliche Abitur konzentrieren sollen. Die Fachlehrer vereinbarten mit den Abiturienten auch Extrastunden, wo die Schüler die Möglichkeit hatten, den Lehrstoff zu wiederholen und mit gezielten Abituraufgaben sich vorzubereiten. Die Schulleitung bereitete die Rahmenbedingungen zur Abwicklung des Abiturs vor. Wir befragten das Lehrerkollegium, wer freiwillig die Aufsicht übernimmt. Wir brauchten auch wegen den Sicherheitsmaßnahmen weitere Prüfungsräume und Aufsichten. Demnach organisierten wir das Aufsichtssystem neu.
Agnes Hertrich, Leiterin der Schule am Valeria-Koch-Bildungszentrum: Die Vorbereitungen der Abiturienten verliefen seit dem 15. März online. Die Lehrer haben den Schülern durch Kontaktstunden, mit Hilfe verschiedener Plattformen, Materialien und Ratschläge den letzten Schliff noch beigebracht. Wir haben fest darauf gehofft, dass die ursprünglichen Prüfungstermine nicht verlegt werden, damit die Schüler nach vorherigem Plan ihre Prüfungen ablegen können. Ein späterer Zeitpunkt wäre nur ein zusätzlicher Stressfaktor gewesen.
Prüfungstechnisch gesehen haben wir die regelmäßig eingegangenen Anweisungen des Staatssekretariats für das Bildungswesen befolgt. Die Abiturienten wurden erneut in Prüfungsgruppen eingeteilt, Räume wurden neu zugeordnet. Wir haben versucht, maximal nur 9 Schüler pro Raum einzuteilen, um den notwendigen Abstand sichern zu können. Die Schüler wurden über die Prüfungstage, Termine und Räume in einer PDF-Datei per E-Mail benachrichtigt, im Weiteren erhielten sie durch ihre Klassenlehrerinnen regelmäßig die neuen Informationen.
— Wie erleben Ihre Kollegen und Ihre Schüler diese außergewöhnliche Zeit?
Ildikó Tápai: Die Umstellung auf den digitalen Unterricht erfolgte recht reibungslos, dank der tollen Vorbereitungsarbeit unserer digitalen Expertengruppe. Am 16. März hat die Gruppe ihre Vorschläge dem Lehrerkollegium präsentiert, noch am selben Tag wurden auch über die digitalen Plattformen und die wichtigsten Richtlinien Entscheidungen getroffen und der Unterricht geht seitdem in digitaler Form weiter. Die Abiturienten haben sich sehr gewissenhaft auf die Prüfungen vorbereitet. Alle, Lehrer wie Schüler haben natürlich den persönlichen Kontakt und das Zusammensein vermisst. Es war deswegen besonders schön, einander am ersten Tag der schriftlichen Prüfungen wiederzusehen.
Erika Szabó-Bogár: Solange über das Abitur keine Entscheidung getroffen wurde, waren sowohl die Schüler als auch die Lehrer gespannt. Nach der Entscheidung waren die Richtlinien klar, und es begann die zielbewußte Vorbereitung auf die Prüfung bzw. die Wiederholung.
Agnes Hertrich: Dank unserer Umfrage können wir behaupten, dass sich sowohl Lehrer als auch die Schüler sehr gut den neuen Gegebenheiten angepasst haben. Jeder versucht sich anzupassen, ein brauchbares Zeitmanagement aufzustellen. Es gibt verschieden Plattformen zur Kontakthaltung. Es hat sich herauskristallisiert, wie der Unterricht am besten verläuft. Die Meisten beklagen den fehlenden persönlichen Kontakt, die Freunde, aber auch die Lehrer fehlen: Die Erklärungen, die persönliche Anwesenheit sind anscheinend doch nicht ersetzbar.
— Welche Schutzmaßnahmen hat Ihre Bildungseinrichtung ergriffen?
Ildikó Tápai: Wir haben viele Schutzmaßnahmen eingeführt. Erstens haben wir die Schüler und die Lehrer ständig auf dem Laufenden gehalten, was die gesundheitlichen Vorschriften betrifft. Die Schulleitung hat Infomaterialien zusammengestellt, die dann an die Schüler und Lehrer verschickt worden sind. Die Klassenleiterinnen haben diese in den Onlinestunden mit den Abgängern ausführlich besprochen, so kamen am ersten Prüfungstag alle entsprechend vorbereitet in der Schule an. Auf dem Schulhof haben wir den nötigen Abstand mit Klebebändern markiert. In den Räumlichkeiten gibt es markierte Stellen, wo die Abiturienten gemäß den Vorschriften Platz nehmen können. Masken, Einweghandschuhe und Desinfizierungsflüssigkeiten mit Papiertüchern stehen in den Räumen und den Fluren bereit. Eine ehemalige Schülerin hat für die Abgänger und den Lehrern, die Aufsicht leisten, modische Mehrwegmasken angefertigt, die am ersten Tag von den Betroffenen mit Freude entgegengenommen wurden.
Erika Szabó-Bogár: Die vorgeschriebenen Maßnahmen haben wir vor Augen gehalten: Das Schulgebäude wurde gründlich geputzt und desinfiziert, wir haben die von den Behörden zur Verfügung gestellten Masken, Handschuhe und Desinfizierungsmittel abgeholt, und die Schule bestellte selbst noch weitere Masken und Handschuhe. An den Prüfungstagen halten wir beim Einlass der Schüler die vorgeschriebenen Maßnahmen ein (Abstand, Desinfizierung der Hände, Verteilung der Masken). Die betroffenen Lehrer erhalten auch Masken und Handschuhe. In den Sanitäranlagen sind auch Desinfizierungsmittel vorhanden. Während der Prüfung werden die Sanitäranlagen, Türklingen permanent desinfiziert. Nach der Prüfung werden die Arbeiten für 24 Stunden versperrt, die Räume werden nach Vorschriften gereinigt. Vor und nach Prüfung bekommt die Schule Hilfe von der Polizei und der örtlichen Bürgerwache um die Gruppierungen zu vermeiden.
Agnes Hertrich: Das Gebäude des Gymnasiums wurde mit Desinfektionsmitteln gereinigt, darüber hinaus werden die Räume jeden Morgen vor den Prüfungen erneut desinfiziert. Bei der Ankunft der Schüler werden ihnen Masken überreicht, die sie im Flur tragen müssen. Es ist ihnen überlassen, ob sie diese während der Prüfung tragen oder nicht. Auch die Kollegen, die Aufsicht haben, bekommen eine Maske bzw. Schutzhandschuhe.
Die Abiturarbeiten werden einen Tag lang im Tresor gelagert, dann können die Kollegen mit der Korrektur beginnen. Nach der Korrektur werden die Arbeiten eingescannt, und am 28-29. Mai, an den Tagen, an denen die Schüler Einblick in die Unterlagen nehmen können, per E-Mail an sie geschickt.
— Was sind Ihre ersten Erfahrungen mit den diesjährigen Prüfungen?
Ildikó Tápai: Bis jetzt läuft alles nach Plan. Die Abiturienten sind ruhig und arbeiten konzentriert. Sie halten die gesundheitlichen Vorschriften ein und geben ihr Bestes.
Erika Szabó-Bogár: Die Prüfungen liefen in den ersten Tagen reibungslos ab. Alle angemeldeten Schüler kamen bisher rechtzeitig, befolgen größtenteils die Vorschriften, arbeiten sehr diszipliniert. Laut den Rückmeldungen der Schüler waren die Aufgaben ihren Fähigkeiten entsprechend schwer bzw. leicht.
Agnes Hertrich: Das Wichtigste ist, dass alle Schüler erschienen sind, niemand ist von den Prüfungen zurückgetreten. So werden sie auch am Verfahren für die Aufnahmeprüfung der Universitäten teilnehmen können.
Über die Aufgaben selber sind die Meinungen geteilt, die Mehrheit will aber gut zurechtgekommen sein. Die Matheaufgaben auf Deutsch sollen etwas schwieriger gewesen sein, als die ungarische Aufgabenreihe.
- Gibt es einige Lockerungen in der diesjährigen Abiturprüfung?
Ildikó Tápai: Ob es alle als Lockerung auffassen ist fraglich, aber es gibt eine wichtige Änderung, dieses Jahr werden die Abiturienten nämlich nur schriftlich geprüft. Das bedeutet, dass in den meisten Fällen keine mündlichen Prüfungen abgehalten werden. Eine Ausnahme bildet das Fach Sport, in diesem Fach werden ausschließlich mündliche Prüfungen gehalten, der Praxisteil der Prüfung fällt aus. Eine kleine Änderung gibt es noch im Terminplan, die Prüfungen in der ersten Woche fangen alle um eine Stunde später, wie gewöhnlich an, also nicht um 8 sondern um 9 Uhr.
Erika Szabó-Bogár: Die Aufgaben sind nicht einfacher, als in den vorigen Jahren. Als Lockerung kann man nur den Ausfall der mündlichen Prüfungen sehen, obwohl das natürlich auch nicht jedem Schüler gerecht ist. Auf der anderen Seite können sie jetzt ohne mündliche Prüfung eine komplexe Sprachprüfung mit dem Abitur erhalten.
Agnes Hertrich: Lockerungen gibt es natürlich keine, es gelten dieselben Regeln bei der Abwicklung der Prüfungen wie jedes Jahr. Der Unterschied besteht allein darin, dass keine mündlichen Prüfungen stattfinden. Dies würde ich aber nicht als Lockerung betrachten, denn gemäß unserer Erfahrung können die Abiturienten ihre Punktezahl mündlich meistens verbessern, vor allem die Jugendlichen, die sprachgewandter sind.
- Wie viele Abiturienten gibt es an Ihrer Bildungseirichtung?
Ildikó Tápai: Es gibt wie immer zwei Abgangsklassen, mit insgesamt ca. 60 Abiturienten.
Erika Szabó-Bogár: 105, und da wir auch eine Prüfungsstelle der erhöhten Stufe sind, kommen jeden Tag noch Schüler anderer Schulen dazu.
Agnes Hertrich: Am Valeria-Koch-Bildungszentrum legen in diesem Jahr 63 Schülerinnen und Schüler ihre Abiturprüfungen ab.
— Gibt es bei Ihnen Abiturienten, die eine Verschiebung ihres Abiturs beantragt haben?
Ildikó Tápai: Unsere Schüler sind motiviert, sie haben sich bestens vorbereitet, so gab es keinen Grund dafür, die Verschiebung des Abiturs zu beantragen. Außerdem wollen die meisten studieren und keine Zeit verschwenden, deshalb sind alle zu den Prüfungen rechtzeitig erschienen.
Erika Szabó-Bogár: Von unseren 107 Abgängern nur 2. Eine Schülerin lebt zurzeit im Ausland, sie hat sich deshalb für die Verschiebung entschieden, eine Schülerin nutzte die Möglichkeit der Verschiebung aus anderen Gründen aus.
Agnes Hertrich: Niemand ist von den Prüfungen zurückgetreten. Einige Schüler haben aber die Möglichkeit ergriffen und beantragt, statt einer Mittelstufe-Prüfungen eine Oberstufe-Prüfung ablegen zu können, bzw. umgekehrt vorgehen wollten auch zwei Schüler.
— Wie viele Ihrer Kollegen sind als Prüfungshelfer während der Prüfungstermine anwesend?
Ildikó Tápai: Fast das ganze Lehrerkollegium macht mit.
Erika Szabó-Bogár: Das hängt vom Abiturfach ab, die Zahl schwenkt zwischen 18-21. Bei den kleineren Fächern brauchen wir nicht so viele, für einen Raum 3 Lehrer.
Agnes Hertrich: Bei der Einteilung der Kollegen haben wir darauf geachtet, dass diejenigen, die über 60 Jahre alt sind, die an einer chronischen Krankheit leiden oder mit mehreren Kleinkindern zu Hause sind, nicht eingeteilt werden. So sind ca. 40 Kollegen eingeteilt, die alle bereit waren, sich an der Aufsicht zu beteiligen.
— Wann finden die Abiturprüfungen in deutscher Sprache und Literatur und im Fach deutsche Nationalitätenkunde statt?
Agnes Hertrich: Diese Prüfungen finden am 11. Mai um 8.00 Uhr statt.
Ildikó Tápai: Im Fach Volkskunde haben die Schüler eine Projektarbeit geschrieben und sie noch vor Anfang der schriftlichen Prüfungen abgegeben. In diesem Fach werden die Prüfungsnoten anhand der Projektarbeiten vergeben.
Erika Szabó-Bogár: In deutscher Nationalitätenkunde finden auch keine mündlichen Prüfungen statt, die Abiturergebnisse ergeben sich aus der Bewertung der eingereichten Projektarbeit.
— Werden Sie die Schulabschlussfeier oder eine Verabschiedung der Abiturienten nachholen?
Ildikó Tápai: Obwohl der persönliche Abschied von der Schule, den Mitschülern, den Lehrern durch nichts zu ersetzen ist und die feierliche Stimmung, die Blumen und das gemeinsame Feiern mit den Verwandten nicht nachgeahmt werden kann, haben wir doch versucht unseren Abgängern etwas von der Stimmung zu vermitteln und ihnen etwas mit auf den Weg zu geben. Wir haben eine virtuelle Valediktion für sie veranstaltet. Ob es eine Schulabschlussfeier geben wird, weiß man im Moment noch nicht. Auf jeden Fall wird es geplant, dass sich die Klassen und ihre Lehrer im Herbst treffen, um einen würdigen, persönlichen Abschied zu organisieren.
Erika Szabó-Bogár: Eine kurze Verabschiedung gab es online, die Klassenlehrer hielten ihre letzte Klassenleiterstunde und ich als Schulleiterin “besuchte” diese Stunden, um die Abiturienten im Namen des Lehrerkollegiums zu verabschieden. Aber wir wollen nicht auf den persönlichen Abschied verzichten und planen am 1. September vor der ganzen Schulgemeinschaft eine verschobene Schulabschlussfeier abzuhalten.
Agnes Hertrich: Wir sind fest entschlossen, den Schülern die Möglichkeit zu geben, sich gebührend von der Schule zu verabschieden, nach vier bzw. zwölf Jahren sollten sie auf jeden Fall die Abschiedsfeier bekommen, die jeder Abiturient erhalten hat. Wir hoffen darauf, dass dies im Lauf des Sommers stattfinden kann.
Quelle: Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU)