Wie ist die Meinung der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen darüber?
Wir erklären Ihnen, wie, warum, und was dadurch gelöst – oder eben nicht gelöst – wurde
Sowohl die in Ungarn lebenden Nationalitätengemeinschaften als auch die Regierung hielt es bereits für aktuell – und am 16. Juni kam es schließlich dazu: Mit 183 Ja Stimmen und 9 Enthaltungen wurde der vom Nationalitätenausschuss eingereichte Vorschlag zur Modifizierung des Nationalitätengesetzes CLXXIX/2011 vom ungarischen Parlament angenommen. An der Vorlage arbeitete ein Team, in dem das Ministerpräsidentenamt, das Amt des Beauftragten der Grundrechte, der Parlamentsausschuss der in Ungarn lebenden Nationalitäten, der Verband der Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten, sowie das Regierungsamt der Hauptstadt Budapest vertreten waren, ein ganzes Jahr lang. Den Prozess betreute und begutachtete auch die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Landesvorsitzende Ibolya Hock-Englender halte die Modifizierung grundsätzlich für zweckdienlich. Sie sprach sich dafür aus, dass es erfreulich sei, dass mehrere Anmerkungen und Vorschläge der Landesselbstverwaltung letztendlich beachtet wurden.
Aus welchen Gründen war die Modifizierung des 2011 verabschiedeten Gesetzes nötig?
Einige Verordnungen des Gesetztes CLXXIX/2011 mussten den gültigen Rechtsnormen angepasst werden, das Gesetz musste aber auch ergänzt werden. Neue Vorschriften waren erforderlich, die zum Beispiel die die Nationalitäten- und der kommunalen Selbstverwaltungen betreffenden Regelungen eindeutig voneinander trennen. Es mussten aber beispielsweise auch Regeln formuliert werden, die das permanente Funktionieren der Nationalitätenselbstverwaltungen gewährleisten.
Welche waren die von der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen gesetzten Prioritäten?
Über kleinere Korrekturen hinaus plädierte die Landesselbstverwaltung für die eingehendere und essentiellere Modifizierung des Gesetzes. Im Einklang mit dem Standpunkt des Verbandes der Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten und des Parlamentsausschusses der in Ungarn lebenden Nationalitäten befürwortete die LdU die Modifizierung des Systems der Regelungen der Wirtschaftsführung der Nationalitätenselbstverwaltungen, damit die Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten weniger bürokratische Aufgaben zu bewältigen haben, was ja letztendlich die Wirkungskraft der kulturellen Autonomie hindert. Darüber hinaus war es für die LdU wichtig, die bisherigen Voraussetzungen der Ausschreibung der Wahl der örtlichen Nationalitätenselbstverwaltungen beizubehalten. Die Landesselbstverwaltung setzte sich auch dafür ein, dass Immobilien und Mobilien jener Bildungs-, kulturellen oder sozialen Einrichtung, deren Trägerschaft durch eine Nationalitätenselbstverwaltung übernommen wird, ebenfalls in den Besitz des neuen Trägers gelangen – jedoch nur dann, wenn dies auch der Träger selber möchte. Laut der angenommenen Rechtsnorm gilt dies aber obligatorisch. Man hielt ferner auch die Regelung der Bewältigung eventueller Probleme zwischen örtlichen Nationalitätenselbstverwaltungen und der kommunalen Selbstverwaltungen für wichtig, sowie auch, dass die Rechte der Nationalitätenselbstverwaltungen erzwungen werden können, das heißt, dass sich auch Nationalitätenselbstverwaltungen zwecks Rechtsganges ans Gericht wenden können.
Welche sind die wichtigsten Elemente der Modifizierung, die schließlich rund 50 Paragrafen betrifft?
Erst einmal, dass die neue Rechtsvorschrift die Terminologien des Nationalitätengesetzes und des nationalen Bildungsgesetzes vereinheitlicht. Sie unterscheidet zwischen Nationalitätenbildungseinrichtung und am Nationalitätenunterricht beteiligter Institution, und vereinfacht somit die Rechtsanwendung, besonders, was die Ernennung der Leitung der Bildungseinrichtungen anbelangt.
Wenn die kommunale Selbstverwaltung auf die Initiative der örtlichen Nationalitätenselbstverwaltung einen Ausschuss bildet, der sich mit Angelegenheiten der Nationalität(en) befasst, nimmt an der Arbeit dieses Gremiums laut des modifizierten Gesetzes demnächst auf jeden Fall ein Delegierter / eine Delegierte der einschlägigen Nationalitätenselbstverwaltung teil. Dies war bisher nur als Möglichkeit gegeben. Dadurch ist die Nationalitätenselbstverwaltung schon an der Vorbereitungs- und Begutachtungsphase beteiligt, die bestimmten Beschlüssen der kommunalen Selbstverwaltung vorangehen.
Bekennen sich in einer Ortschaft mindestens 25 Personen zu derselben Nationalität, so reicht das auch demnächst dazu, dass in dem genannten Ort eine Wahl der örtlichen Nationalitätenselbstverwaltung ausgeschrieben wird. Denn vor der Gesetzesmodifizierung plante man, diese Zahl ab der nächsten Wahl auf 30 zu setzen. Die Beibehaltung der niedrigeren Anzahl ist aus mehreren Gründen relevant: Zum Beispiel darum, weil die nächstes Jahr fällige Volkszählung nicht mehr anonym sein wird – daraus resultiert wahrscheinlich, dass sich wenigere zu einer Nationalitätengemeinschaft bekennen werden. Dies führt dazu, dass in noch wenigeren Ortschaften Nationalitätenselbstverwaltungen gegründet werden können. Daraus kann sich letztendlich ergeben, dass die Selbstverwaltungen der in bestimmten Regionen des Landes sporadisch lebenden Nationalitäten zwangsläufig aufhören zu existieren.
Eine gravierende Änderung ist, dass in Bezug auf jene Ortschaften, wo es noch nie eine Nationalitätenselbstverwaltung gegeben hat, bei der Ausschreibung der Wahlen die einschlägige Landesselbstverwaltung deklarieren muss, ob das Zustandebringen eines Gremiums zum Schutz der Rechte einer Nationalitätengemeinschaft vor Ort gerechtfertigt ist oder nicht. Man hofft dadurch auf das Stoppen des „Kuckucksei-Phänomens“.
Laut des modifizierten Gesetzes dürfen von nun an auch örtliche Nationalitätenselbstverwaltungen soziale Einrichtungen gründen und betätigen. Altenpflege ist auch für die ungarndeutsche Gemeinschaft eine sehr wichtige Aufgabe. Unsere Beteiligung an der Altenbetreuung blickt ja auf eine ansehnliche Tradition zurück: Wir hatten einen herausragenden Teil an dem Ausbau von Notrufsystemen landesweit, an der Versorgung der Bejahrten mit Essen, an dem Ausbau des Netzwerks des Dorfverwaltersystems. Wichtig ist, in Zukunft Altersheime zu etablieren, wo sich die dort lebenden bejahrten Ungarndeutschen ihrer Muttersprache bedienen, sowie ihre Kultur und Traditionen pflegen und weitergeben können.
Bezüglich der das Bildungswesen angehenden Modifizierungen ist eine neue, vorschulische, sogenannte ergänzende Form des Unterrichts hervorzuheben; diese betrifft jene Ortschaften, wo die Zahl der Nationalitätenkinder die Mindestkopfzahl nicht erreicht, die zur Gründung von selbständigen Kindergartengruppen nötig ist. Darüber hinaus ist auch zu erwähnen, dass die Programme der sog. Kunstschulen in unseren Grundschulen endlich als Nationalitätenprogramme anerkannt werden.
Inwiefern ist die LdU mit dem modifizierten Gesetz zufrieden?
Die Gesetzesänderung betraf zahlreiche Elemente, die Rechtsordnung ist zweifelsohne „verbraucherfreundlicher” geworden. Eine umfassende, die rechtliche und finanzielle Selbständigkeit der Nationalitätenselbstverwaltungen gewährleistende Modifizierung lässt jedoch noch auf sich warten.