Eine Reise in die Vergangenheit
Einige der ehemaligen Geistlichen haben ihre letzte Ruhestätte auf dem Soltvadkerter Friedhof gefunden. Einer der ältesten Grabsteine erinnert an den 1855 verstorbenen evangelischen Pfarrer Franz Napoleon Spannagel. Seitdem sind über 160 Jahre vergangen und so ist diese Zeit aus der kollektiven Erinnerung verschwunden. Aus den Chroniken erfährt man aber noch vieles! In der Dienstzeit dieses Pfarrers wurde z. B. 1837 die heutige evangelische Kirche eingeweiht. Ihm ist auch das in ungarischer Sprache formulierte Gedicht über dem Kircheneingang zu verdanken.
Der frühe Tod des Franz Napoleon Spannagel, im Alter von nur 47 Jahren, hatte sozusagen amtliche Gründe. Die damals tobende Cholera-Seuche verschonte auch ihn nicht. Die Beerdigungen der Verstorbenen fanden zu jener Zeit von den einzelnen Häusern aus statt, ohne Mundschutz, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. So infizierten sich sowohl er als auch sein katholischer Kollege. Sie fielen nahezu gleichzeitig nach einigen Tagen der Epidemie zum Opfer, wie auch Hunderte ihrer Gläubigen.
An dieser Stelle würde eigentlich die bekannte Geschichte über Franz Napoleon Spannagel enden, es sei denn…
… man kennt zwei pensionierte Pfarrer, die in ihrer aktiven Freizeit recherchieren und die Ergebnisse austauschen. Auf dem Soltvadkerter protestantischen Friedhof, beim Spannagel-Grabstein, gedachten kürzlich zwei Senioren nahe der 80, Lajos Káposzta (Soltvadkert) und János Detre (Aszód), der vergangenen Zeiten.
János Detre kam mit einer prall gefüllten Aktentasche zum Treffen mit seinem Amtskollegen. Er brachte Interessantes zum Leben des damaligen Pfarrers Spannagel mit, der seine Spuren auch in Aszód (40 km östlich von Budapest) hinterlassen hat.
Franz Spannagel wurde im damaligen Nordungarn, im Zipser Land/Georgenberg, östlich der Hohen Tatra, geboren. Die Gemeinde war dreisprachig, wie viele andere Siedlungen im Königreich Ungarn. Er sprach Deutsch, Slowakisch, Ungarisch, außerdem die offizielle Sprache der Zeit, Latein. Er arbeitete nach Abschluss seines Studiums zunächst als Lehrer für ungarische Sprache und Literatur am Lyzeum in Pressburg (heute Bratislava). Dann übernahm Franz Spannagel als Pfarrer die dreisprachige evangelische Kirchengemeinde in (Solt)Wadkert.
Aber der Weg hierher war besonders kompliziert, wie die Recherchen von János Detre ergaben. Der Vater (Jonas Spannagel) des späteren Pfarrers starb eines frühen Todes. Die Mutter trat zum Katholizismus über und man wollte auch ihn, Franz, dazu bekehren. Dies war in der Zeit der religiösen Auseinandersetzungen ein übliches Verfahren, da Religionen und Konfessionen möglichst viele Gläubige an sich binden wollten. Selbst Zwang war dabei nicht ausgeschlossen. Besonders begehrt waren Sprösslinge reicher Familien.
Der junge Franz
wurde bei einem Onkel untergebracht, der als evangelischer Pfarrer der deutschen Gemeinde Bulkesz in der Batschka (heute Serbien) diente. Aber auf Anweisung des römisch-katholischen Bischofs des Zipser Landes wurde der Knabe dem evangelischen Pfarrer am 30. Dezember 1819 mit Gewalt entrissen. Von da an hätte er an der Piaristenschule in Kalocsa unter strenger katholischer Aufsicht weiterlernen sollen. Doch es gelang ihm zu entfliehen und unter der Schirmherrschaft des evangelischen Adligen Baron Podmaniczky in Aszód im Glauben seines Vaters aufzuwachsen.
Was weiß man heute über seine Zeit in Aszód?
Wie Altpfarrer János Detre berichtet, ist aus den Matrikelbüchern ersichtlich, dass er (Franz) mit der dortigen Carolina Blasy, Tochter eines Gewerbemannes, 1838 in der evangelischen Kirche von Aszód die Ehe schloss. Beim Namen des Bräutigams steht: „Franc Napoleon Spanagel(!), Verbi Divini Minister“ (Diener am Wort Gottes), wohnhaft in „VadKert“. Man kann sich kaum vorstellen, wie die jungen Leute sich aus einer so großen Entfernung überhaupt hatten kennenlernen können. Auf Grund der zur Verfügung stehenden Daten ist es jedoch wahrscheinlich, dass der Bruder der Braut, der 1837 nach Kiskőrös (8 km von Soltvadkert) als evangelischer Pfarrer ordiniert wurde, seine Finger im Spiel gehabt haben dürfte. Und bei der Installation des neuen Pfarrers dürften sich die jungen Leute in Kiskőrös getroffen haben. Liebe findet eben immer einen Weg – heute wie damals!
Über die Trauung der beiden
in Aszód wissen wir relativ viel. Trauzeuge des Bräutigams war ein Freund, Pfarrer Andreas Weber. Die Braut hingegen hatte zwei Zeuginnen: die Frau und die Tochter des Dorfpfarrers. Warum für die Braut zwei Personen nötig waren, erklärt János Detre so: Aufgrund der damaligen Traditionen mussten alle nach der beendeten Trauungszeremonie die Kirche verlassen, außer dem Pfarrer, der Braut und ihrer 2. Zeugin. Dann fand die sogenannte Frauenweihe, die Frauensegnung statt. Im Rahmen der kurzen Zeremonie teilte der Pfarrer einer jungen Frau einige Gedanken über Frieden, Familie und Kinder mit – abhängig von der Situation und der Person. Dies galt gleichzeitig als letzte Vorbereitung zur Mutterschaft.
Die Fortsetzung der Geschichte ist traurig.
Infolge der Geburt ihres ersten Kindes verstarb die junge Mutter. Der Vater lebte voller Trauer 10 Jahre lang allein. 1850 heiratete er dann die Tochter des Schulmeisters der örtlichen slowakischen evangelischen Schule, Julis Sulacsek. Trauzeuge war der katholische Grundherr Antal Lukács. Das war eine zweifellos außerordentliche Geste, die aber wegen der religiösen Spannungen in der Bauernschicht als ganz und gar unglaublich galt. Aus dieser Ehe gingen 4 Kinder hervor.
Wir hoffen, wir konnten mit dieser Lektüre den Interessenten der Kirchengeschichte ein kleines Begegnungsforum schaffen.
Káposzta Lajos jun