Reformation –  historisches Ereignis oder aktuelle Herausforderung?

Gedanken zur Reformation

„Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?” war zur Zeit Luthers eine brennende Frage der Christenheit. Luther fand als Mönch im Kloster keine Ruhe über diese Frage. Alle Buβübungen und guten Werke gaben ihm nicht den inneren Frieden. Immer intensiver vertiefte er sich in die Heilige Schrift, bis er auf die Stelle im Römerbrief stieβ: „so halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben”. Das erkannte er als richtig und dieser Kernsatz wurde ihm Wegweiser für die Reformation.

Der Auftritt Luthers war nicht nur theologisch wichtig. Viele Deutsche vergessen, dass mit ihm 1517 die moderne deutsche Sprache geboren wurde.

In diesem Jahr wird der 504. Jahrestag der Reformation gefeiert. Uns bewegt nun die Frage, wie wir dieses Jubiläum richtig feiern. Auf das „WIE” kommt es an. Kann man heute Luther nur als Helden  seiner Zeit, mit Hammer und Thesen in der Hand, vor der Kirchentür stehend feiern? Das wäre eine Unterschätzung seines Werks. Oder genügt es uns, ihn neu zu interpretieren? Auch das scheint zu wenig zu sein.

Wenn wir heute von Luther ein Bild gewinnen wollen, dann müssen wir ihn vom herkömmlichen, protestantischen, katholischen, liberalen und romantischen Lutherbild entmythologisieren und zugleich darauf achten, den entmythologisierten Luther nicht erneut mit moderner Mythologie darzustellen. Was Luther getan hat, könnte in wenigen Worten so lauten: Er hat die Bibel als das Buch der Christenheit wiederentdeckt und sie als Gottes Wort neu auszulegen verstanden. Man nennt den daraus entstandenen kirchengeschichtlichen Komplex Reformation.

Eine Zurück-zur-Luther-Haltung ist unmöglich, auch dann nicht, wenn festgestellt wird, daβ Luther ein Mann der Neuzeit ist, der das Mittelalter hinter sich gelassen hat. Das kann uns den Mut geben, mit unseren neu aufbrechenden Fragen an diesen Luther heranzutreten. Luther ist nicht zu wiederholen, er kann auch niemals übernommen werden, doch er kann uns Wegweiser für eine Theologie des Kreuzes sein.

 Luther begann seine Laufbahn damit, dass er sich von der Welt zurückzog. Er kam in dieser Zurückgezogenheit auf die Frage der Reformation: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?” Es muss klar erkannt werden, dass Luther trotz seines Mönchseins kein Individualist war, der sich nur um sein eigenes Seelenheil sorgte. Luther konnte sich den gnädigen Gott nicht ohne den Menschen oder losgelöst von der Welt denken. Für ihn war die Frage nach dem gnädigen Gott zugleich eine Frage nach dem Mitmenschen. Dieser Gott – sagt er in der Predigt über den Text Markus 16,14-20 – macht uns bereit zum Dienst in der Liebe. An dieser Stelle können wir wohl mit unseren heutigen Fragen an Luther herantreten. Luther sagt in einer Predigt über das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus: daraus folgt nun die andere Sünde, die der Verweigerung der Nächstenliebe, denn er lässt den armen Lazarus vor seiner Tür liegen und versagt ihm Hilfe… Er hatte gar keine Bewußtheit von Gott, hatte auch von seiner Güte nie etwas gefühlt. Denn wer Gottes Güte fühlt, der fühlt auch seines Nächsten Unglück, wer aber Gottes Güte nicht fühlt, der fühlt auch seines Nächsten Unglück nicht. Anders formuliert, ein so genanntes Privatchristentum ist völlig unreformatorisch und  existiert eigentlich nicht.

Der Schöpfer der Gedanken, Lajos Káposzta, evangelischer Dekan in der katholischen Kirche von Bócsa

Hier heiβt es für uns, neu auf Luther zu hören und uns von ihm vorwärts weisen zu lassen. Wir schreiten mit Luther vorwärts, wenn wir uns durch seine reformatorische Botschaft leiten lassen, um Spuren des gegenwärtigen Christus in unserer technisierten und säkularisierten Welt zu finden.

Wenn ich heute am Reformationsfest in Deutschland predigen würde, so würde ich die  Botschaft  meiner Festpredigt formulieren:

Zurück zur wiederentdeckten Quelle, d.h. zum Evangelium. Die Betonung liegt auf der Weitergabe des unverfälschten reinen Evangeliums.

Die einzige Möglichkeit dafür ist: Glaubend glauben lernen und lehren und lehrend Lehren lernen!

Soltvadkert, Reformationsfest 2021

Lajos Káposzta Evangelischer Dekan im Ruhestand

Jedermann in seiner Muttersprache