Roma in Ungarn

“Hier ist alles, was zusammengekommen ist!”

Zigeuner heute

Was kann man tun, wenn man die eigenen Schätze ausstellen will. Es ist nicht die einfachste, aber die effektivste Art, ein Haus zu kaufen, es einzurichten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Natürlich sind die Objekte selbst nicht alles – man muss auch ihre Geschichte erzählen!

Wir befinden uns 130 km südlich von Budapest, in Soltvadkert, Komitat Bács-Kiskun. Dies ist eine Kleinstadt, die sich im Laufe der Jahrhunderte aus einem Dorf entwickelt hat. Die Bevölkerung ist gemischter Herkunft, hat sich aber inzwischen magyarisiert.  Eine ethnische Gruppe, die sich bis zu einem gewissen Grad erhalten hat, sind die Zigeuner.

Ja, das ist die offizielle Bezeichnung in Ungarn, und so werden sie auch genannt: „cigány“. Schauen Sie einfach im Internet nach: „Cigány Nemzetiségi Önkormányzat” — Nationalitätsselbstverwaltung der Zigeuner oder „Cigány Közösségi Ház” — Kulturhaus der Zigeuner, usw. Dann gibt es natürlich noch die Benennung „Roma“, vor allem in intellektuellen Kreisen. So heißt zum Beispiel der Lehrstuhl an der Universität in Szeged oder in Pécs “Lehrstuhl für Romologie”. Andernorts beschäftigen sich Ethnographen mit den Roma entweder aus sprachlicher oder volkloristischer Sicht.

Das war also die kurze akademische Einleitung, um Zoltán Sztojka, oder wie er in Soltvadkert genannt wird, „Zoli Kalapos“ —

„Zoli mit dem Hut“,

und seine „Schätze“ vorzustellen.

Ich stehe vor einem Bauernhaus, von denen es vor 50 Jahren noch einige im Dorf gab, heute aber kaum noch welche. Hierher kommt Zoli.

Aber wer ist er eigentlich?

Zoli ist übrigens auch ein Wahrsager, er arbeitet mit „Zigeunerkarten“ und Kerzen. Darauf gehen wir jetzt aber nicht ein! Mein Gastgeber kommt mit seinem Fahrrad und hat Hut und ein ausgebeultes Zigeunerhemd an.

Wir gehen hinein, um das Privatmuseum im hinteren Trakt des Hauses zu besichtigen. Ich komme zweimal am Tag hierher, um die Enten, Hühner und Schweine zu füttern, also dachte ich, ich richte hier ein kleines Museum ein —die Erklärung gefällt mir — Du weißt, mein Freund, ich hatte einige Antiquitäten, und jetzt habe ich einen Platz, um sie aufzustellen. Hier ist der Gang, ist er schön, gelle?

Zoli’s Privatmuseum

— Du hast diesen Flur schön eingerichtet, stimmt, es ist ein einladendes Stück.

Dies ist eine besondere Serie an der Wand – das Vaterunser, jeder Satz auf einem eigenen Teller. Es war eine Herausforderung, das zusammenzustellen, aber immerhin haben wir herausgefunden, wer dieses Gebet richtig kennt… Denn wir sind ein sehr religiöses Volk! Bald gehen wir zum Zigeunerpilgerort Csatka. Dort beten und singen wir. Dann kommt es auch zum Tanz…

Aber jetzt komm ins Haus! Du wirst dich wundern!

Wir kommen in der Küche an. Das erkennt man daran, dass dich ein Sparherd, ein Küchenschrank, Teller und andere Utensilien erwarten. Das heißt, mehrere Sparherde und mehrere Kredenzen, die eine praktische Reihe von Oberschränken bilden. Zoli findet sofort Gläser. – Ein Palinka?

– Auf jeden Fall… Prost! Das ist eine Sammlung, das steht fest. Wo kommt das alles her?

Zoltán Sztojka in seinem Privatmuseum zu Soltvadkert

Ich hab’s geerbt… und ich hab’s gekauft… Du weißt ja: Man baut sich langsam eine Sammlung auf. Aber ich zeige dir etwas, das Sie nicht glauben werden. Eine Streichholzschachtelsammlung aus den 1970-er Jahren! Ich habe sie in einer verlassenen Küchentischschublade in einem verlassenen Bauernhof gefunden. Hier bekommst du eine, bitte!

  • Oh, du hast mich überrascht! Danke!

Gut, es gibt hier Schätze, die ich dir nicht geben werde, ich zeige sie dir nur… Aber plötzlich klingelt Zolis Telefon. Er geht nicht in den Hof hinaus, so dass ich beide Seiten hören kann. Der Anrufer ist ein Universitätsprofessor aus Szeged, ein Romologe, d.h. ein Zigeunerforscher. „Ja, Herr Professor… wie soll ich mich vorbereiten?“ — Der Professor kommt mit Studenten, die bei mir forschen werden! — Zoli freut sich: Es geht so, wissen ja, ich empfange die Studenten hier! Ich muss alles so machen, wie ich das von meinen Vorfahren gelernt habe.  Ich trage traditionelle Kleidung, Hemd, Hut, und dann erzähle ich ihnen Geschichten, wenn nötig auf Ungarisch, wenn nötig auf Zigeunerisch.

  • Konkret was?

Es hängt davon ab, wie sie die Sprache kennen! Ich stelle das Haus und die Einrichtung vor. Dann erzähle ich über einige Exponate. Einen ganz besonderen Stil haben die Roma-Märchen, wir nennen das „Paramitscha“. Ich beginne das Märchen auf Ungarisch und nach dem 3. Satz wechsle ich. Dabei ist auch der Professor behilflich, er kennt ja seine Studenten. Man muss ihnen klar machen, dass diese Kultur und Sprache teilweise in Ungarn noch lebendig sind.

  • Singst du mit ihnen auch?

Das ist nicht üblich… Meine Stimme ist nicht am besten. Natürlich kenne ich die Lieder, aber singen tun wir lieber in der Familie oder bei einem Fest. Du wirst dich aber wundern, die Liedtexte sind in mehreren Versionen: Ungarisch, Lovari (die offizielle ungarische Zigeunersprache) und auch Matschar! Letztere ist die alte Zigeunersprache, die du nur in Liedtexten findest!

  • Wie reagieren sie darauf?

Im Allgemeinen positiv! Die meisten haben Verbindungen zu unserem Volk: die Herkunft, der sprachliche Hintergrund und die Traditionen sind den meisten noch im Blut. An der Universität wird das wissenschaftlich noch ergänzt. Das ist die Aufgabe der Lehrer, davon verstehe ich nichts. Was mich betrifft, das sind die echte Zigeunerkultur und meine Geschichten. Ich bin da und erzähle alles.

Na, komm ins Zimmer!

Schränke, Bett, Kleider an den Puppen, Bücher auf dem Tisch. Er erzählt ständig: Diese Augenbinde „szemfedő“ zum Beispiel ist ein echtes Beerdigungszubehör. Die Kleidung ist von ungarischen und Zigeuner-Trachten. Sie ist ähnlich, aber unsere ist immer bunter und verzierter. Wenn zum Beispiel Metallplatten oder Münzen an der Taille oder am Hals befestigt sind, ist das ein Zeichen von Reichtum. Das ist auch bei den Südslawen „Bunyevatzen“ aus der Batschka der Fall!

Oder hier siehst du diesen Intarsienschrank gegenüber dem Eingang. Er ist viel wert. Diese Verzierung entsteht so, dass in ein Brett Stücke einer anderen Holzart eingelegt werden und so ein Muster gebildet wird! Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es ein Hochzeitsgeschenk war. Vielleicht war es ein viel späterer Kauf, als die Familie es hätte tun können.

Bücher und Fotografien sind eine Welt für sich. Es lohnt sich, sie zu lesen und anzuschauen!

  • Soviel ich weiß, es war früher ganz selten, dass in den Zigeunerfamilien jemand fotografiert hat. Es kamen natürlich Soziologen schon in den 1930-er Jahren in die „Ghettos“, um diese Lebensweise kennenzulernen. Und was ich noch weiß, ganze Roma-Familien erklärten sich bereit, in den Künstlerkolonien von Kecskemét oder Nagybánya Modell zu sitzen. Das tat ihnen ja nicht weh und sie haben damit ein kleines Geld verdient. Das war noch damals, in der Zwischenkriegszeit.

Ja, deshalb haben diese Fotos einen großen Wert. Sie wurden bei einem Fest geknipst oder es kam ein Wanderfotograf auf den Jahrmarkt… Die Leute, die zu mir kommen, setzen sich oft hin und lesen einfach alles. Auf den Rückseiten der Bilder stehen auch Botschaften. Von wem sie stammen und wem sie gehörten, weiß ich nicht. Nicht alle gehörten unserer Familie, in einigen Fällen wurden sie genommen und uns geschenkt.

– Eine lehrreiche Sammlung! Kommen viele Besucher zu dir?

Noch wenig, aber ich mache Werbung! Das ist erst das erste Jahr!

– Na dann, viel Glück.

Gott segne dich, „áldjon meg a drago sunto Del!“.

Der Besucher: Lajos Káposzta. Anmeldung und Info: 0036209466727

Totenkult der Zigeuner