Eine Humoreske des ungarisch-deutschen Journalisten Siegfried Brachfeld

Tudniillik

(geschrieben in den 1960-er Jahren)

Ein ausländischer Student an der Budapester Universität meinte kürzlich, daß tudniillik für ihn ein komisches Wort wäre, das ihn zum Lachen reize. Ich finde das gut; denn was zum Lachen ist, regt zum Nachdenken an, wenn es kein dummer Witz ist. Tudniillik ist kein Witz, sondern ein zusammengesetztes Wort aus tudni = wissen und illik = passen, gebühren, schicken. Also wortwörtlich heißt illik: es schickt oder gebührt sich zu wissen. Aber man gebraucht es heute oft als Satzanfang wie: das heißt, oder nämlich. Nun kann ich mir lebhaft einen Professor an der Budapester Universität vorstellen, wie er fortwährend mit tudniillik erläutern was er eben ausführlich erklärt hat; weil es hier wie überall manchmal Professorenart ist, das Sein und Bewusstsein, das heißt deren Kausalität, das heißt, die Dialektik beider Phänomene, daß heißt tudniillik die Abhängigkeit voneinander, tudniillik die Bestimmtheit, oder tudniillik deren Priorität, einfacher ausgedrückt tudniillik das Wissen vom Wissen zu wissen tudniillik…

Darüber kann dann ein Student, wenn er noch dazu die ungarische Sprache nicht ganz beherrscht, nachdenken, bis sich die vielen tudniilik wie Ohrenwürmer durch alle Gehirnwindungen schlängeln.

Mit tudniiillik also brauchen Sie sich Ihren Kopf und die Zunge nicht zerbrechen. Aber wenn Sie beide Wörter auseinander nehmen, dann wissen Sie von tudni, daß es das Zeitwort wissen ist und von illik das, was sich schickt. Wenn Sie jetzt an das Wörtchen nem = nein oder nicht denken, dann können Sie ungarisch sagen, daß sich nicht schickt, was sich nicht schickt: nem illik semmit nem tudni = es schickt sich nicht, nichts zu wissen. Jedenfalls sollte man bei uns von Wissen soviel wissen, bis man wie Sokrates weiß, dass man nicht weiß.

Siegfried Brachfeld

Eine Filmaufnahme: https://www.youtube.com/watch?v=vJ_3ymuByl4