Ein peinlicher Fall: Westeuropäische Rentnerin in Not in Ungarn

Altersversorgung, aber wie?

Es ist Dienstag Vormittag. Mein Telefon klingelt. Ein Mann mit österreichischer Mundart will mit mir reden. Etwa meines Alters. Er weiß, warum er mich anrief – es ist ein komplizierter Fall. Seine Mutter kam in Ungarn ins Krankenhaus.

Ja, er wohnt in Österreich, in Sankt Pölten. Obwohl Nachbarland, aber in vieler Hinsicht sehr weit entfernt von Ungarn — sowohl geographisch als auch mental.

Nach mehreren Telefonaten und e-Mails kommt die ganze Situation Schritt für Schritt zum Vorschein. Ich publiziere jetzt die Geschichte mit der Absicht, dass wir alle daraus lernen werden. Namen und Adressen wurden geändert, Texte abgekürzt. Aber Inhalt und Botschaft werden bleiben — hoffentlich!

Also, die Mutter ist etwa achtzig Jahre

und wanderte vor ca.12 Jahren nach Ungarn aus. Sie wohnt an der Westgrenze, in einem kleinen Dorf. Ihre Mutter-Kind Beziehung ist nicht regelmäßig, alle sind Einzelgänger und deshalb reicht ein Telefon jährlich aus. Na ja: die meisten Westeuropäer feiern so Weihnachten: ein Telefonat mit den Eltern und Schluss….

Aber sie erlitt vor einigen Tagen einen Unfall und wurde gestern operiert. Sie ist in einem ungarischen Krankenhaus. Oberschenkelhalsbruch! Aber sie ist auch dement und der ungarischen Sprache nicht mächtig.

Auch interessant: Ausländer können in Ungarn jahrzehntelang leben ohne sich einige Dutzend Worte anzueignen. Ein Luxus!

Der Sohn

spricht gar nicht ungarisch. Und die Ärzte? Ehrlich gesagt, diejenigen, die eine Fremdsprache irgendwie beherrschen, arbeiten schon längst in Österreich, Deutschland, England, usw. Besonders Leute aus Westungarn…

Die Mutter ist in Ungarn sozialversichert, sie wird im Krankenhaus betreut, aber darf dort auch nicht ewig bleiben, erstmal vielleicht 2 Wochen…

Und dann?

Wie kann und muss es weitergehen? — das ist die Frage des Sohnes an mich. „Wissen Sie, ich lese Ihre Artikel und Sie haben sich mit dem Seniorenthema schon mehrmals befasst.“ — sagt er. Die Kommunikation unter uns geht weiter. Nach einigen Gesprächen wird mir klar, dass er die alte Mutter lieber in Ungarn unterbringen möchte.

Mailwechsel, Dokumente und viel Klärungsbedarf

Ich bekomme ihren Personalausweis, Wohnkarte („Lakcimkártya“), Krankenkassennummer, Steuerkarte. Was wir wissen: im Besitz der Wohnkarte ist sie berechtigt am Wohnort eine Art Seniorenbetreuung in Anspruch zu nehmen. Das wird aber nur an Werktagen vom Sozialamt ermöglicht. Einkaufen, Hausputzen, Körperpflege, Haarewaschen, Nägelschneiden, Brennholzhacken, Medikamente abholen, Essen auf Rädern — täglich 1-2 Stunden, mehr nicht. Ich bekomme auch Datenblätter, natürlich in Ungarisch, damit ich sie im Namen der zu Betreuenden ausfülle.

Das Formular vom Sozialamt ist hier herunterzuladen:

Datenplatt des Sozialamtes in Ungarn bei Aufnahme (in Übersetzung)

Also, es entstehen beim Ausfüllen einige Fragen:

  • Ist diese Zeit pro Tag für die Mutter genug? (Nein!)
  • Wer bleibt mit der Mutter in den anderen Stunden? (Niemand)
  • Was passiert, wenn etwas passiert?…

Also, die Arbeit beginnt!

Nach mehrtägigen Telefonaten und Mailwechseln konnte ich dem Herrn folgendes mitteilen:

Sehr geehrter Herr …

Die Art der Pflege Ihrer Mutter ist von ihrem Zustand abhängig. 

Erfahrene Krankenpflegerinnen sagen: nach so einer OP, die sie bereits hatte, kommt im Allgemeinen eine Nachbehandlung!

Dazu gehört auch Heilgymnastik: kommt der Heilgymnastiker aus dem Burgenland oder sollen wir jemanden — der medizinischen Vorgabe entsprechend — bestellen?

Wie werden ihr die Medikamente zur Verfügung gestellt? Kommen welche aus Österreich, die, wie bisher, persönlich abgeholt werden oder jetzt per Post? Wenn die Medikamente dort verschrieben werden, werden sie in Österreich an Fremde herausgegeben? Sind diese österreichischen Medikamente mit den neuen ungarischen kompatibel? Das muss ich mit dem Krankenhaus noch besprechen.

Schicken Sie Ihrer Mutter nach dieser Oberschenkelhalsbruch-OP aus Österreich ein Spezialbett? Ich meine ein Pflegebett für zu Hause, das man heben und senken kann. Man muss die Lehne aufstellen, mehrere Positionen einnehmen, usw.? Bekommt sie von Ihnen eine Zimmertoilette?

Oder müssen wir diese Sachen in Ungarn mieten? Denn das Krankenhaus besitzt solche Ausstattungen nur für die eigenen Patienten in der Klinik!

Die Antwort des Sohnes

Sehr geehrter Herr Káposzta,

Über Nachbehandlung wurde noch nicht gesprochen. Ich glaube nicht, dass Bett, oder ähnliche Heilbehelfe aus Österreich unterstützt werden können. Gibt es solche Unterstützungen nicht mit ihrer ungarischen Versicherung?

Wenn Sie mit dem Arzt im Krankenhaus sprechen könnten oder an einem Gespräch zusammen mit mir dabei sein könnten, wäre uns sicher geholfen.

Ich habe heute über meine Telefonnummer auf rumänisch eine Anfrage von einer Pflegerin Irina bekommen. Da ich kein Rumänisch verstehe, habe ich nicht antworten können. Haben Sie meine Nummer weitergegeben?

Irina aus Rumänien?

Meine Antwort kam rasch:

Ich habe keine Rumänin zu Ihnen geschickt. Die Idee kommt sicher vom Krankenhauspersonal. Die dort arbeitenden rumänischen Staatsbürger vermitteln ihre NachbarInnen ganz gerne. Ich zweifele ihre „Barmherzigkeit“ und Einsatzbereitschaft natürlich nicht an, aber wer haftet für Qualität, Sicherheit und Treue? Ich habe darüber mit dem Krankenhaus schon gesprochen, aber natürlich weiß niemand Bescheid, wer diese Irina sei.

Der Zustand Ihrer Mutter ist nicht am besten. Sie muss noch im Krankenhaus bleiben, aber der Chefarzt der Abteilung garantiert nicht, dass sie innerhalb der nächsten Wochen nach Hause, in ihr Dorf fahren darf.

Aber sie braucht eine 24-Stunden-Pflege!

  • betont der Sohn in seinen Mails. Und fügt hin: „Ich hoffe, der ungarische Staat kann die Betreuung meiner Mutter sichern, nachdem sie das Krankenhaus verlassen hat. Sie ist doch dort krankenversichert!“

Nein, es ist nicht so. Wir haben mit denjenigen Ungarn auch Versorgungsschwierigkeiten, die ihr ganzes Leben hier geführt haben. Das heißt, sie haben dieses Land aufgebaut und die ganze schwierige Zeit ertragen. Ausländer mit Wohnkarte sind zwar herzlich willkommen, aber ihnen gebührt auch nicht mehr als einem Ungarn. Im Gesundheitswesen herrscht überall Personalmangel — wie im ganzen Europa.

Ich organisiere auch eine Pflegerin (aus meinem eigenen Bekanntenkreis, in Westungarn gibt es kaum freie Pflegekräfte… Alle fahren regelmäßig in das Burgenland und die Steiermark…). Was extrem schwierig wird, wie kann sie dann mit der Mutter in derem eigenen Haus übernachten, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden ist?

Ihr Tagespreis beträgt 95 Euro + Unterkunft + Mahlzeiten. Aber sie macht alles, was nötig ist.

Zu teuer!

  • sagt der Sohn. Das ist schon ein gewohnter Satz, den ich jede Woche höre. Ja, wir in Ungarn müssten eigentlich immer billig, nett und effektiv sein…

Und er schreibt:

Platz zum Übernachten ist sicher möglich. Aber der Preis von 95,- Euro/Tag ist leider langfristig nicht finanzierbar. Meine Mutter bezieht nur die Mindestpension. Sicher würden wir das für die erste Zeit mal irgendwie hinkriegen.

Aber es kommen ja auch noch weitere Kosten (Bett, etc.) dazu. Wir bräuchten hier jede mögliche Unterstützung, die machbar ist. Leider ist ja die weitere Entwicklung ihrer Mobilität nicht absehbar.

Wissen Sie, ich muss bei der Firma, wo ich arbeite, auch an meine Karriere denken. Man würde es nicht lange zulassen, dass ich lange Zeit vom Arbeitsplatz weg bin und wegen meiner Mutter so viel Urlaub nehme.

Meine Antwort kannte von jetzt an keine Grenzen

Sehr geehrter Herr …

Ist es zu teuer? Und würden Sie zu viel Zeit wegen der Mutter verschwenden?

Dann muss aufgrund der ungarischen Gesetze und Bräuche in diesem Fall die Familie in die Tasche greifen! Kinder haften für ihre Eltern…

Karriere? Als Sie als halbjähriges Kind täglich 4x in die Hose gemacht haben und die ganze Nacht schrien, denn die Zähne kamen, dachte Ihre Mutter an Karriere? Wollte sie für ihren Afrika-Urlaub Geld verdienen, während ihr Sohn gelitten hat? Kaum zu glauben.

Bitte, seien Sie ein Mann, der pflichtbewusst ist! Vielleicht zum ersten Mal im Leben!

Dann stille…

Drei Wochen nachher erhielt ich folgende Mail:

Sehr geehrter Hr. Kaposzta,

vielen lieben Dank für all Ihre Mühen!

Leider habe ich während meines Besuches im Krankenhaus vor 3 Wochen schlechte Neuigkeiten erfahren, welche mich zu rascher Handlung in eine andere Richtung zwangen.

Die Therapie hat nicht den gewünschten Erfolg erzielt, d.h. meine Mutter wird vermutlich nicht nur wegen des Bruchs eine längere Zeit Pflege und Behandlungen brauchen.

Um dies zu ermöglichen habe ich sie bei mir in Sankt Pölten Hauptwohnsitz gemeldet und erhoffte nun rasche Unterstützung von den österreichischen Behörden.

Meine Mutter nach Österreich zu bringen, war die richtige Entscheidung.

Sie hat die letzte, ihr verbleibende Zeit bei guter Pflege mit regelmäßigen Besuchen ihrer Söhne verbracht.

Es war schön, sie auch noch lachen gesehen zu haben, bevor sie schließlich letzten Samstag zum letzten Mal ihre Augen schloss.

Auch wenn es sehr schmerzt und sie mir fehlt, ist es doch gut zu wissen, dass ihr ein längerer Leidensweg erspart blieb.

Vielen Dank für Ihre Mühen, es war alles ein wenig kompliziert, aber alles zusammen der einzige und richtige Weg.

Liebe Grüße

Info über Krankenbetreuung auf Deutsch bei Lajos Káposzta: 0036209466727

Altwerden in Ungarn