Gespräch mit Dániel Krähling, einem ungarndeutschen evangelischen Pfarrer
In seiner aktiven Zeit war er der größte Dekan der Ungarischen Evangelischen Kirche — jedenfalls was Gestalt und Körpergröße betrifft. Dazu gesellt sich eine starke und tiefe Stimme, die die Kirche auch ohne Lautsprecher ausfüllt. Es ist Dániel Krähling, der evangelische Pfarrer und Dekan i. R. in Bonnhard (Bonyhád) in der Nähe von Pécs im Komitat Baranya.
Seit Jahrzehnten ist er bei ungarndeutschen Kirchengemeinden (immer noch) tätig, und nach dem Systemwechsel kam er auch in die deutsche Minderheitenselbstverwaltung als Abgeordneter.
— Was können Sie über Ihre Kirchengemeinde erzählen?
Die Gemeinde in Bonnhard / Bonyhád und Umgebung ist überwiegend deutscher Abstammung. Meine Generation, also die Fünfziger, haben in der Schule kaum mehr Deutsch gesprochen und ihre Kinder sprechen auch nur höchstens Schuldeutsch. Also die deutsche Muttersprache ist mit der Generation nach dem zweiten Weltkrieg praktisch ausgestorben. Es gibt einige Familien, die Wert darauf legen, mit ihren Kindern deutsch zu sprechen, es ist aber ein sehr, sehr gebrochenes deutsch.
— Nach dem Krieg blieben in Bonnhard von den 3.000 nur 300 deutsche Protestanten übrig. Heute zählt die Kirchengemeinde etwa 700 Seelen. Wie ist die Sprache der Gottesdienste und der Seelsorge?
Deutsche Gottesdienste fanden im Jahre 1970, als ich nach Bonnhard kam, jeden Sonntagnachmittag statt. Sie waren recht gut besucht. Ich hielt damals noch deutsche Bibelstunden und deutsche Betstunden. Diese Generation, die damals 60- bis 70-Jährigen, hat ihr Leben in Ungarn zugebracht, ohne ein einziges Wort ungarisch zu können. Das galt besonders für die Damen. Diese Generation ist aber mittlerweile ausgestorben. Einige Jahre lang wurde der deutschsprachige Nachmittagsgottesdienst kaum mehr besucht. Wir entschlossen uns dann, jeden dritten Sonntag im Monat einen deutschen oder zweisprachigen Hauptgottesdienst zu halten. Das heißt, die Liturgie wird in deutscher Sprache gehalten, die biblischen Texte werden sowohl Deutsch als auch Ungarisch vorgetragen, die Predigt deutsch gehalten und ungarisch zusammengefasst. Das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser spricht jeder in seiner Muttersprache.
— Und der Pfarrer?
Der Pfarrer verwendet immer die Gottesdienstsprache.
— Wie wird das Abendmahl erteilt?
Das Abendmahl wird an gewissen Feiertagen auch in deutscher Sprache gereicht, d.h. am Vormittag des Karfreitages und des Reformationsfestes (31. 10.) immer auch in Deutsch.
— Wie viele Leute kommen zu den deutschsprachigen Gottesdiensten?
Das ist praktisch die Gottesdienstgemeinde, die jeden Sonntag anwesend ist, also 60 bis 70 Gläubige. Zum deutschen Gottesdienst kommen manchmal weniger, weil er wegen der Zweisprachigkeit länger ist. Aber viele freuen sich über ihre (alte) Muttersprache.
— Wie ist die Sprache der Kirchenlieder?
Wir haben die alten, abgelegten evangelischen Kirchengesangbücher aus Deutschland bekommen. Lieder, die ungarisch und deutsch parallel gesungen werden können, werden ausgewählt, kopiert und als Blätter ausgeteilt.
—Sie haben mehrere Kirchengemeinden, die ursprünglich, also bis zur Verschleppung der „Schwaben” in den 40-er Jahren, deutsch waren. Wie predigen Sie dort?
Es kommt darauf an, wer zum Gottesdienst gekommen ist. Die Gottesdienstsprache wird an Ort und Stelle entschieden, z. B. in Bátaapáti und Hidas.
— Wie sind diese Gottesdienste besucht?
In Hidas sind es ca. fünfzehn, in Bátaapáti drei bis vier Teilnehmer, die regelmäßig kommen.
— Wie ist es mit dem Wortschatz der Gläubigen? Gibt es Ausdrücke, die in der Predigt enthalten sein müssten, von den dortigen Leuten aber nicht verstanden werden?
Diese Leute haben in der Schule teilweise deutschen Unterricht gehabt und viele von ihnen lesen heute auch noch deutsch. Es kommt nicht darauf an, ob sie hoch gebildet sind oder nicht. Meine Urgroßmutter konnte wegen ihrer kranken Füße nicht mehr in die Kirche gehen. Sie nahm dann jeden Sonntagnachmittag das Postillenbuch und las die Luther-Predigt für den Tag. Das war ihre persönliche Andacht. Das haben auch andere Leute so gemacht.
— In Baden-Württemberg erschien die Bibel auch schwäbisch, also in Mundart. Verwenden Sie in ihrer Predigt auch mundartliche Ausdrücke?
Eine Predigt in Mundart wäre ganz komisch, das ist unvorstellbar. Übrigens unsere Leute sprechen hessische Mundart.
—Wie sehen Sie die Zukunft der deutschsprachigen Gottesdienste?
Wir haben sowieso Probleme, die Botschaft der Bibel jedem verständlich zu machen. Wenn dabei noch eine Sprachbarriere im Weg ist, wäre das schon tragisch. Das reformatorische Prinzip heißt: jedermann in seiner Muttersprache! Und wenn deutsch keine Muttersprache mehr ist, sollte man es prinzipiell nicht erzwingen. Die Kultur und die sprachliche Tradition sollen schon gepflegt werden, aber die Gottesdienstsprache muss der Umgangssprache angepasst werden.
— Wenn Sie bei älteren Leuten Seelsorge ausüben, wie ist die Sprache?
Wenn sie zu mir „Geistlicher Herr” sagen — dann weiß ich, dass die Seelsorge in Mundart ablaufen wird. „Warum pist tu tann so neigierig? Muss tes so sain?” Wie die Gebete gesprochen werden, z.B. das Vaterunser, kommt darauf an. Bei Beerdigungen wird auf Wunsch auch deutsch gepredigt, besonders, wenn Familienangehörige aus Deutschland dabei sind, in der Aussegnungshalle lieber ungarisch, am Grab lieber deutsch.
— Haben Sie die sprachliche Tradition in Ihrer Familie weitergegeben?
Ich habe versucht, mit meinem jüngsten Kind Mundart zu sprechen, aber als diese Tochter zweieinhalb Jahre alt war, begann sie auf Ungarisch zu antworten. Da war es vorüber. Mit den beiden Größeren wollte ich nach einer gewissen Zeit anfangen, dann rannten sie heulend zu ihrer Mutter: „Mama, der Vati ist verrückt, wir verstehen nicht, was er sagt!”
— Sind also alle Ihre Kinder Ungarn geworden?
Eigentlich ja, aber alle sprechen auch tadellos hochdeutsch. Die Mundart verstehen sie in gewissem Maße ebenfalls.
Reporter: Lajos Káposzta